2012/10/07

"Einer gibt den Ton an" - DER SPIEGEL 21/2003

19.05.2003


Einer gibt den Ton an


Von Dallach, Christoph

Das ehemalige Pink-Floyd-Mitglied Roger Waters über die Neuauflage des legendären Albums "The Dark Side of the Moon"


Waters, 58, einst Cheftexter der Popgruppe Pink Floyd, lebt in der südenglischen Grafschaft Hampshire.



SPIEGEL: Mr. Waters, der jetzt im 5.1-Surround-Sound digital aufgemöbelte Pink-Floyd-Klassiker "The Dark Side of the Moon" gilt als eine der erfolgreichsten britischen Platten aller Zeiten, von der noch heute, 30 Jahre nach der Entstehung, allein in den USA jede Woche rund 8000 Stück verkauft werden. Staunen Sie selbst über diesen Erfolg?

Waters: Na ja, die Platte ist wohl zu einem dieser Klassiker geworden, die von jungen Generationen immer wieder entdeckt werden. Es ist ein sehr emotionales Werk über die Fragen der menschlichen Identität, und so was verliert eben nie an Aktualität. Bob Geldof rief mich neulich an, um mir zu erzählen, wie sehr er meine Arbeit schätzt. Dabei hat er Pink Floyd lange gehasst.

SPIEGEL: Wie kommen Sie darauf?


Waters: Wir fragten mal an, ob er nicht bei der Aufführung von "The Wall" mitmachen wolle. Sein damaliger Manager informierte ihn darüber während einer Taxifahrt. Aber Geldof keifte empört los: Pink Floyd? Das ist doch der schlimmste Schrott, den ich mir nur vorstellen kann. Dummerweise war der Fahrer des Taxis zufällig mein Bruder. Der hat sich alles schweigend angehört und mir später erzählt. Wir haben uns ausgeschüttet vor Lachen.

SPIEGEL: Ihr Lieblingsthema ist die Angst. Sind Sie ein ängstlicher Typ?

Waters: Nein, aber Kafkas Sicht auf die Welt hat schon immer eine Faszination für mich gehabt. "The Wall" handelt von der Furcht, bloßgestellt zu werden, "The Dark Side of the Moon" von der Angst des Individuums, sich in Apathie zu verlieren.

SPIEGEL: Sie waren lange die treibende Kraft bei Pink Floyd, bis Sie sich vor rund zwanzig Jahren im Bösen von der Band getrennt haben. Was war geschehen?

Waters: Es kam wie bei den meisten zwischenmenschlichen Beziehungen: Man hatte sich auseinander gelebt. Ich habe viele Pink-Floyd-Songs geschrieben. Und ich erinnere mich genau, wie Rick Wright damals, als "The Dark Side of the Moon" erschien, in einem Interview sagte, wir würden uns nicht um die Texte unserer Songs scheren. Ich dachte nur: du vielleicht nicht, aber ich schon. Ein Problem war auch, dass ich immer politischer wurde und das zunehmend in unsere Musik einbringen wollte. Aber davon war Dave Gilmour überhaupt nicht begeistert. Er ist überzeugt, dass man Pop und Politik nicht verknüpfen sollte.

SPIEGEL: Das britische Musikmagazin "Mojo" nannte Sie einen "Rock'n'Roll-Despoten", wahrscheinlich, weil Sie bekannt dafür sind, dass Sie, was Ihre Ideen und deren Umsetzung angeht, keine Kompromisse machen. Funktionieren Popbands nicht demokratisch?

Waters: Einer muss immer den Ton und die Richtung vorgeben. Aber das macht die Beiträge der anderen nicht weniger wichtig. Ich war lange der Hauptautor bei Pink Floyd, aber ohne die anderen hätte die Band nicht funktioniert. Doch machen wir uns nichts vor: Letztlich wird große Kunst immer von Individuen produziert.

SPIEGEL: Pink Floyd kennen Millionen Menschen. Dass Roger Waters da lange die treibende Kraft war, ist nur Spezialisten bekannt. Wie frustrierend war die Erfahrung, als Solist ohne Pink Floyd deutlich weniger erfolgreich zu sein?

Waters: Die Erkenntnis, dass ich mit dem Abschied von der Band auch einen Großteil des gewohnten Publikums zurücklasse, war schon eine überraschende und besonders schmerzhafte Erfahrung. Aber ich habe mich mit der Zeit damit vertraut gemacht.

SPIEGEL: Sie sind einer der erfolgreichsten Popmusiker aller Zeiten, aber erkennt Sie irgendwer im Supermarkt?

Waters: Kaum. Das ist das Schöne daran, als Teil einer Band seine Anonymität zu wahren. Ich habe es auch immer vorgezogen, so unauffällig wie möglich aufzutreten. Nicht so wie Prince, der sieben Bodyguards zum Sichern in einen Laden schickt, bevor er hineingeht, und sich später beschwert, dass er immer angestarrt wird.

SPIEGEL: Was halten Sie als alter Sozialist von der Verbrüderung der Labour-Regierung mit der Bush-Administration?

Waters: Die Macht, mit der amerikanischer Materialismus die englische Lebensweise immer weiter umkrempelt, schockiert mich sehr. Ich habe sogar ein Lied darüber geschrieben, wie die traditionelle englische Bulldogge zum Pudel von Uncle Sam geworden ist. Diese ganze politische Blenderei der letzten Monate hat mich an die Platten von Madonna erinnert: viel Rauch um nichts! Umso begeisterter war ich, dass Deutschland, Frankreich und Russland standhaft geblieben sind. Diesen Wahnsinn zu verfolgen hat mich erschreckt, aber auch zu einigen neuen Songs inspiriert.

SPIEGEL: Falls Sie vorhaben, die in den USA zu veröffentlichen, könnte auch Ihnen ein Boykott drohen wie etwa den Dixie Chicks, die George W. Bush attackiert haben ...

Waters: ... in Amerika kann mich zurzeit nicht mehr viel erschrecken. So was wie Clear Channel ist wirklich bedrohlich. Die betreiben in den USA mehr als 1200 Radiostationen und sind auch auf dem Gebiet des Konzertmanagements tätig. Der Manager von Christina Aguilera hat mir erzählt, sie sei von Clear Channel aufgefordert worden, ein Konzert für sie zu spielen. Das habe sie abgelehnt. Daraufhin wurde ihr bedeutet, dass ihre nächste Single es nicht ins Programm schaffen würde, wenn sie ihre Meinung nicht ändere. Diese Art von Machtmissbrauch erschreckt mich.

SPIEGEL: Sie werden nächstes Jahr 60. Werden Sie weiterhin Zeilen wie "We don't need no education" schmettern?

Waters: Was sollte mich davon abhalten?

INTERVIEW: CHRISTOPH DALLACH



English translation  (from brain-damage.co.uk)




Der Spiegel: Mr Waters, "The Dark Side of the Moon", which has now been revamped in 5.1 Surround sound, is still considered one of the most successful British records of all time. And even today, 30 years after its first release, it keeps selling some 8000 copies a week - in the US alone. Are you amazed at this success?

Roger Waters: Well, this record has probably become one of those classics that gets rediscovered again and again by younger generations. It is a very emotional piece of work about questions of human identity; those things never lose relevance. Bob Geldof called me recently to tell me how much he appreciates my work, even though he hated Pink Floyd for quite a while.

Der Spiegel: Why do you think this?

Roger Waters: We once asked him if he wanted to take part in the film of "The Wall". His manager at that time told him about it during a taxi ride. But Geldof started moaning: "Pink Floyd? That's the worst crap I can imagine!" Unfortunately, the taxi driver was my brother. He quietly listened to all of it and told me. We nearly died laughing!

Der Spiegel: Your favourite topic is angst. Are you an anxious type?

Roger Waters: No, but Kafka's view of the world has always been fascinating to me. "The Wall" is about the fear of being exposed, "The Dark Side of the Moon" about the anxiety of the individual to lose oneself in apathy.

Der Spiegel: For a long time you were the driving force behind Pink Floyd - until you parted from the band on bad terms some 20 years ago. What happened?

Roger Waters: It was just like most relationships: our lives grew apart. I wrote a lot of Pink Floyd's songs. And I very distinctly remember how, back when "The Dark Side of the Moon" was released, Rick Wright said in an interview that we didn't really care about our lyrics. I just thought, "well, maybe you don't, but I do". Another problem was that I was becoming an increasingly political person and I wanted to put some of that into our music. But Dave Gilmour wasn't at all excited about that. He is convinced that you shouldn't combine pop and politics.

Der Spiegel: British rock magazine "Mojo" once called you a "rock and roll despot", probably because you are known for not compromising your ideas and their realization. Can't pop bands work on a democratic basis?

Roger Waters: There always has to be one person setting the scene and leading the way, for the others. But that doesn't make the contribution of everybody else less important. I was the chief writer in Pink Floyd for a long time, but without the others the band wouldn't have worked. But don't let us fool ourselves: in the end, great art is always made by individuals.

Der Spiegel: Pink Floyd is a name known by millions. But the fact that Roger Waters was the driving force for a long time is only known to relatively few specialists. How frustrating was the experience of being distinctly less successful as a solo artist without Pink Floyd?

Roger Waters: The discovery that parting from the band also meant leaving behind the majority of the audience I was used to, was definately a rather surprising and hurtful one. But since then, I have made myself comfortable with it.
Der Spiegel: You are one of the most successful pop musicians of all time - but does anybody recognise you in the supermarket?
Roger Waters: Rarely. That's one of the good things about keeping one's anonymity as part of a band. I always prefered showing up as inconspicuously as possible. Not quite like Prince, who first sends seven bodyguards into a store before he enters it. Later on, he complains that he was constantly being stared at.

Der Spiegel: What do you as an old socialist think about the fraternity between the Labour government and the Bush administration?

Roger Waters: The power and force with which American materialism is turning English habits inside out is pretty shocking to me. I even wrote a song about how the traditional English bulldog has turned into Uncle Sam's poodle. All that political deceiving in the last couple of months reminded me of Madonna's records: much ado about nothing! I was more encouraged when I saw how Germany, France and Russia stood their ground. This whole craziness shocked me but also inspired some new songs.

Der Spiegel: If you are planning on releasing them in the US as well, you might be facing a boycott just like the Dixie Chicks who attacked George Bush...

Roger Waters: In the US there's hardly anything that could shock me at the moment. Things like Clear Channel are really frightening. They operate more than 1,200 radio stations in the US and are also active in corporate manegement. Christina Aguilera's manager told me she'd been called by Clear Channel and asked to play a concert for them. She refused. Consequently she was given to understand that her next single would not make it into their rotation if she didn't change her mind. This kind of misuse of power scares me.

Der Spiegel: You are turning 60 next year. Are you still going to blare out lines like "We don't need no education"?

Roger Waters: What should keep me from doing it?

Adapted from an excellent translation by Andre from the Echoes mailing list. Thanks Andre! 

         www.brain-damage.co.uk

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